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Die Ökologische Zonierung der Aue

Hier: Youtube Video zur Ökologischen Zonierung

Dies ist ein überarbeiteter und gekürzter Auszug aus meinem Buch: Die Auwälder der Donau.

Infos hier

Das Hin und Her zwischen Trockenheit und Überschwemmung, der ständige Wechsel der Elemente, ist das herausragende Kennzeichen für die Ökosysteme in einer natürlichen Aue. Dabei nimmt der Einfluss des Wassers von den Ufern der Fließgewässer zu den Außengrenzen der Aue hin kontinuierlich ab. Es gibt Spitzenhochwasser, welche die gesamte Aue zu einem Teil des Flusses werden lassen, und es gibt Perioden der Wasserarmut, die manchen Bach oder Fluss vollständig austrocknen lassen. Zwischen diesen Extremen bilden Häufigkeit und Dauer von Überflutungsphasen und Trockenperioden sowie die an diese Pegelschwankungen gekoppelte Fluktuation des Grundwasserspiegels die dominierenden Faktoren für die Existenz von Pflanzen und Tieren in der Aue.

 Veränderungen des Wasserstandes sind an der Mittelwasserlinie eines Flusses am häufigsten. Hier schwankt der Pegel oft im Laufe von Stunden – und schon Zentimeter bedeuten eine gewaltige Verschiebung der Lebensbedingungen in dieser Wechselwasserzone. Mit zunehmendem Abstand zum Ufer vermindern sich Zahl und Dauer der Überschwemmungen. Die ökologische Außengrenze der Aue wird vielleicht nur einmal in einem Jahrhundert von einer außergewöhnlichen Flutwelle erreicht.

Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, wie natürliche Auen wohl ausgesehen haben, bevor der Mensch begann, die Natur nach seinen Vorstellungen zu verändern. Nehmen wir als Beispiel die Donau. Die größten zusammenhängenden Auenkomplexe des Alpenvorlandes bestanden einst im Bereich des Donaurieds zwischen Ulm und Donauwörth. Hier, zwischen dem heutigen Ulm und Donauwörth, schufen die Wassermassen der Eiszeiten eine fast siebzig Kilometer lange und bis zu sechs Kilometer breite Talsenke, die  – bis zur Kanalisierung der Donau – bei Spitzenhochwassern großflächig überflutet wurden.

Bis in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war die Donau ein stark gewundener, vielfach verzweigter Fluss, der beständig seinen Lauf änderte, sich in parallele Gerinne aufspaltete, Inseln bildete und Altwasser abtrennte. Im Spätsommer war der Fluss oft so flach, dass man ihn leicht durchwaten konnte. Dann gab der Strom oft Hunderte Meter breite Kies- und Sandbänke frei, die bei steigenden Pegelständen schnell wieder verschwanden (siehe: Wo kommt nur der Kies her?). Wenn sich die Fluten ausgetobt hatten, dann hatte der Fluss vielleicht an der einen Stelle eine Kiesbank abgetragen und mit dem so gewonnen Baumaterial an anderer Stelle eine neue aufgeschüttet. An solchen Plätzen konnten sich keine Pflanzen halten. Kies- und Sandbänke gehörten zu den wenigen vegetationslosen Flächen im grünen Urwald. Hinter den Kiesbänken, dort wo die Ufer zwar regelmäßig, aber nicht länger als ein halbes Jahr, unter Wasser standen, stockte ein undurchdringliches Gewirr aus Weidengebüschen, Pappeln, Erlen und überflutungstoleranten Hochstauden. Diese wegen ihrer forstwirtschaftlich minderwertigen Bäume als Weichholzaue bezeichnete Zone begleitete den gesamten Fluss an beiden Ufern wie ein Saum.

An manchen Stellen weitete sich die Weichholzaue zu hallenartigen Silberweidenwäldern, die schließlich in die Laubwälder der sogenannten Hartholzaue übergingen. Diese nur bei Spitzenhochwassern gefluteten Wälder aus Eichen, Eschen, Ulmen und Linden bedeckten das Donautal und die Auen der Unterläufe von Iller, Lech, Isar und Inn oft auf mehreren Kilometern Breite. Die Überschwemmungen hinterließen Schwebstoffe, unter deren Düngung sich regelrechte Urwälder entwickelten, mit umgestürzten Bäumen und an Lianen erinnernde Kletterpflanzen. In grundwassernahen Senken und Mulden entstanden Tümpel und Röhrichte. Flutrinnen und vom Hauptstrom abgeschnittene Flussarme öffneten Lücken in die dichte Vegetation. An manchen Stellen gelang es einem Ausnahmehochwasser, Kies bis weit in die Auwälder hineinzutragen. Diese wasserdurchlässigen Sedimente trennten den Zugang der Vegetation zum Grundwasser. Wie Inseln inmitten des feuchten Auwaldes entstanden auf diesen trockenen Kiesbänken eigenartige Lebensräume, die an afrikanische Savannen erinnern: die Brennen. Erst auf den höheren Flussterrassen, unerreichbar auch für die weitesten Fluten, wurde der Auwald von Buchenmischwäldern abgelöst.

Solange die Donau und ihre alpinen Zuläufe noch Wildflüsse waren, konnten sie ungehindert durch Stauwerke und ohne Beschränkungen durch Dämme die Aue in ihrer ganzen Breite und Länge überfluten. Für den Erhalt einer ökologisch intakten Aue reicht es nämlich nicht aus, dass Wasser lediglich über die Ufer tritt, es muss auch dem Gefälle folgend in Längsrichtung durch die Aue hindurchfließen können. Die transversale und longitudinale Durchgängigkeit der Aue ist Voraussetzung für die Ausbildung der typischen Zonierung in Fließgewässer, Sedimentbänke, Weichholzaue und Hartholzaue. Nur noch wenige Reste der ehemaligen Auwälder sind uns erhalten geblieben, und mit diesen steht auch der artenreichste Lebensraum Mitteleuropas an der Schwelle des Verschwindens.

Das Auf und Ab des Wasserstandes ist eine Herausforderung für jedes Lebewesen in der Aue. Es ist vor allem die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse, die alles Leben im Einflussbereich des Wassers mit Problemen konfrontiert, wie sie gewaltiger kaum sein können. Eine Anpassung an einen regelmäßigen Rhythmus, wie bei den Gezeiten des Ozeans, ist für die Bewohner des Risikobereiches eines natürlichen Fließgewässers nicht ausreichend. Innerhalb von Augenblicken kann dort, wo gerade noch Land war, Wasser das Regime übernehmen und ebenso schnell können sich die Verhältnisse wieder umkehren – ein Pendel der Extreme. Die hydrologische Dynamik der Fließgewässer ist die Ursache für die Entstehung ganz unterschiedlicher Lebensverhältnisse auf engstem Raum. Die Auen mit ihren natürlichen Gewässern, Uferzonen und verschiedenartigen Wäldern bieten einer breiten Palette von Lebensformen geeignete ökologische Nischen – darum entfaltet die Natur unseres Landes gerade hier ihren größten Artenreichtum. Mit ihren mannigfaltigen Biotopen begleitet die Aue das gesamte Fließgewässersystem von der Quelle der Gebirgsbäche bis in die Mündungsdeltas der großen Ströme, hier mehrere Kilometer weit, dort nur wenige Meter messend. Als lang gestrecktes Ökosystem von geringer Breite aber ist die Aue hochgradig verletzlich. Weitgehend unbeachtet sind diese Oasen der Biodiversität durch menschliche Eingriffe bis auf kleine Refugien geschrumpft.  Aber noch gibt es sie, die Auwälder – unser bedrohtes Naturerbe.

 

 

Schematischer Querschnitt durch eine natürliche Aue (Zeichnung © Joerg Hemmer)

Nur an wenigen Abschnitten der Donau gibt es noch einen Übergang vom Fluss über Kiesbänke zur Weichholzaue wie hier bei Höchstadt ...

.... oder an der Isar bei Wolfratshausen.

Die Weichholzaue ist ein undurchdringlicher Wasserwald aus Weiden, Erlen, Gebüschen und Hochstauden. Hier steht das Wasser oft mehrfach im Jahr und nicht selten über mehrere Monate. Im Hintergrund erkennt man die Eschen der angrenzenden Hartholzaue.

Als Brennen (in Österreich 'Heißlände') werden Kiesaufschüttungen genannt, die der Fluss bei außergewöhnlichen Hochwassern oft fernab vom Ufer im Auwald deponiert. Auf diesen Trockenstandorten können zunächst nur wenige Pflanzen Wurzeln fassen, sodass hier Mager- oder Trockenrasengesellschaften entstehen. Bei regulierten Flüssen wuchern diese Kiesflächen im Laufe der Zeit zunächst mit trockenheitsliebendem Buschwerk zu, bis der Wald dann von diesen Flächen Besitz ergreift. Entlang der Donau gibt es daher keine aktiven Brennen mehr. Kiefernbestände im Laubwald weisen auf solche ehemaligen Kiesflächen hin. Die Aufnahme entstand im Tiroler Lechtal bei Reutte.

Die Idylle trügt! Die Baumschicht eines natürlichen Hartholzauwaldes besteht aus überflutungsresistenten Eichen, Eschen, Ulmen und Linden. Dieser "Auwald", der wegen seiner prachtvollen Bärlauchblüte im Mai viele Besucher anzieht, ist schon lange von regelmäßigen Überschwemmungen des Flusses (in diesem Fall der Donau) abgeschnitten. Buchen, Hainbuchen und Spitzahorn weisen auf die zunehmende Austrocknung des Bodens hin. In einem auf Ertrag ausgerichteten, forstwirtschaftlich geprägten Wald fehlen alte Bäume und Totholz. Die meisten Wälder, die heute noch in alter Tradition als Auwald bezeichnet werden, haben ihren Auwaldcharakter bereits weitgehend eingebüßt.

Die von Flusslehm verschutzten Blätter zeigen den Wasserstand eines sommerlichen Hochwassers der Isar bei Plattling. An der Isarmündung lassen vom Fluss zurückversetzte Deiche dem Wasser noch eine Chance, regelmäßig in die Aue fließen ....

... und so kann man hier das seltene Ereignis erleben, dass Flusswasser bis in die Hartholzaue eindringt. Eine ökologisch intakte Hartholzaue - vor 200 Jahren begleitete sie noch jeden Fluss, heute ist sie eine Rarität.