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Rauhfussbussard gegen Seeadler

oder

David und Goliath

 

Ich stehe mit meinem mittlerweile zwanzig Jahre alten VW-Bus (meine mobile Unterkunft und Fotostudio in einem) am Ende einer kleinen Stichstraße am Westufer der Mündung des Tanaflusses im äußersten Norden Norwegens. Auf der einen Seite der Fluss, auf der anderen eine etwa hundert Meter hohe Felswand. Auf einem Felskopf über der Klippe sitzt er: ein Rauhfußbussard (Buteo lagopus). Offensichtlich bewacht er den Horst mit seinem brütenden Partner. Oder liegen bereits Junge im Nest? Den Brutplatz des Greifvogels aufsuchen zu wollen, das ist für mich tabu, ganz davon abgesehen, dass dies angesichts dieser Felsmauer ohnehin ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Aber dieser Bursche verjagt immer wieder die Nebelkrähen, die wohl ebenfalls in der Nähe brüten. Das könnte vielleicht interessant werden. Aber das ist leicht gesagt: Unter der Felswand türmen sich bröselige und von dichtem Gestrüpp bewachsene Schutthalden. In einer Hand das Stativ und auf dem Rücken fünfzehn Kilogramm Optik – das ist wirklich kein Spaß! Endlich erreiche ich den Kopf eines kleinen Hügels, von dem aus ich einen passablen Einblick in die steile Felswand habe: Das könnte klappen. Der Bussard hat mich längst entdeckt und betrachtet auf seinen Erkundungsflügen den armen Wurm, der da tief unter ihm herumkriecht – sicher kein würdevoller Anblick. Aber auch aus meiner Position ist das Objekt des Interesses recht unergiebig. Ein Bussard von unten ist keine wirklich lohnenswerte Aufnahme. Auch die Nebelkrähen haben sich beruhigt, die Vorstellung scheint beendet. Plötzlich taucht aus der Ferne ein Seeadler auf. Mit bedächtigem Schwingenschlag gleitet er an der Klippe entlang. Er kommt direkt auf mich zu, immer größer wird seine Silhouette im Sucher meiner Kamera. Als er über mich hinweggleitet, schaut er mir direkt in die Augen, oder besser: genau in das Objektiv. Ein sehr persönlicher Augenblick. Wie groß er ist! Ich lasse den Auslöser nicht mehr los. Aber was ist das? Plötzlich streckt er die Schwingen vor, scheint in der Luft zu bremsen. Fast wie vor Entsetzen reißt der Adler seinen Schnabel auf, als wie aus dem Nichts der Rauhfußbussard mit angewinkelten Flügeln im Sucherbild erscheint. Mehrfach attackiert der flinke Vogel den Adler von hinten. Dann – ich traue meinen Augen nicht – dreht sich der plötzlich so plump erscheinende Riese auf den Rücken und entkommt in dieser wenig würdevollen Pose den Attacken des Zwerges. Ich bin beeindruckt.