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Biodiversität

 

 

Artikel 2,
Übereinkommen über die Biologische Vielfalt,
Rio de Janeiro am 5. Juni 1992:

»…bedeutet 'Biologische Vielfalt' die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören. Dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme.«

 

Hier meine kurze, sicher nicht umfassende, aber hoffentlich doch verständliche Erklärung:

Der Reichtum an Tier- und Pflanzenarten ist das sichtbare Zeichen der durch Evolution entstandenen Biodiversität. Es geht aber bei der Betrachtung der Biodiversität nicht allein um das reine Vorhandensein von Arten wie dies durch den deutschsprachigen Ausdruck Artenvielfalt fälschlich nahegelegt wird.

Es ist einleuchtend, dass ein fiktiver Lebensraum, z.B. ein Naturschutzgebiet, in dem von jeder Art jeweils ein Pärchen lebt ("Arche-Noah-Prinzip") nicht mit einem ansonsten identischen Lebensraum vergleichbar ist, selbst wenn in diesem genau die gleichen Arten leben würden, diese aber mit einer jeweils unterschiedlichen Anzahl von Individuen.

Jede Spezies besteht nämlich aus genetisch unterschiedlichen Individuen. Das Ausmaß an genetischer Variation innerhalb einer Art hängt von vielen Faktoren ab (Anzahl der Individuen, Umfang des Genoms, Art und Umfang der sexuellen Vermehrung, Ausdehnung des geographischen Verbreitungsareales, Isoliertheit von Populationen oder Individuen usw.) und ist daher von Art zu Art sehr unterschiedlich. Genetische Variation erhöht die Anpassungsfähigkeit im Raum (Erschließung neuer Lebensräume) und in der Zeit (Anpassung an Veränderungen). Eine geringe genetische Variation ist meist das Ergebnis von Inzucht als Folge einer Reduktion der Individuenzahl. Dies hat eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten und eine Verringerung der Vermehrungsfähigkeit zur Folge, so dass eine solche auf wenige Individuen geschrumpfte Art oder Population mit großer Wahrscheinlichkeit aussterben wird, obwohl sie noch als Teil der Artenvielfalt gelistet wird.

Eine solche kritische Abnahme der Individuenzahl ("Bottleneck") kann aber auch zu einer schnellen Evolution der Restpopulation führen, wenn sich durch die Homogenisierung des Genoms besonders vorteilhafte Merkmalkombinationen durchsetzen können. So ist die Menschheit durch einen solchen "Flaschenhals" von nur etwa zehntausend Individuen gegangen. Das Risiko des Aussterbens war in dieser Phase außerordentlich hoch. Man kann also nicht sagen, dass eine große genetische Vielfalt grundsätzlich "besser" wäre als eine geringe.

In einer nicht von Menschen geprägten Welt wäre die genetische Vielfalt innerhalb einer Art das Abbild ihrer historischen, evolutiven Entwicklung, das Ergebnis von Erfolg oder Scheitern von Anpassungsvorgängen. Heute ist jedoch der Rückgang sowohl der Zahl der Arten als auch der Menge an Individuen innerhalb von Arten und Populationen im Wesentlichen ein Ergebnis menschlicher Eingriffe, welche das natürliche Kommen und Gehen von Arten weitgehend überlagert hat.

Jedes Lebewesen benötigt einen bestimmten Lebensraum, zum Beispiel einen Teich (Amphibien), einen Wald mit morschen Bäumen (Kleinspecht) oder die Blätter der Fetthenne (Raupe des Apollofalter). Geht der Lebensraum verloren, dann verschwinden auch die Arten, die von diesem abhängig sind. Auch die ökologische Vielfalt ist damit ein funktionaler Teil der Biodiversität. Tatsächlich ist eine formale Aufspaltung des Begriffes Biodiversität in die Kategorien Artenvielfalt, genetische und ökologische Vielfalt willkürlich, denn keine Komponente kann im natürlichen Umfeld isoliert betrachtet werden.

Schrumpft der Bestand einer Art durch Verfolgung (Tiger), Klimawandel (Eisbär) oder durch Verkleinerung des Lebensraumes (Gorilla), dann sterben die letzten ihrer Art vielleicht nicht durch die Hand des Menschen, aber irgendwann durch Inzucht. Der Fortbestand einer Tier- oder Pflanzenart erfordert nämlich eine ausreichend hohe Anzahl vermehrungsfähiger und genetisch unterschiedlicher Individuen. Die Vielgestaltigkeit an Lebensräumen ist die Voraussetzung für den Erhalt überlebensfähiger Populationen und damit für die Bewahrung der natürlichen Artenvielfalt. Genetische Vielfalt, Artenvielfalt und Lebensraumvielfalt sind die drei untrennbar miteinander verknüpften Ebenen der "Biologischen Vielfalt" oder Biodiversität.