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Biomasse, Forstwirtschaft und das Ökosystem Wald

 

Die auffälligsten Lebewesen im Ökosystem Wald sind die Bäume. Durch ihre im wahrsten Sinne des Wortes überragende Statur bieten sie ihren Blättern einen idealen Arbeitsplatz für ihre bedeutungsvolle Aufgabe: die Photosynthese. Die Fähigkeit, Licht in chemische Energie zu transformieren und mit dieser Energie dann atmosphärisches Kohlenstoffdioxid in organische Masse zu verwandeln, macht Bäume zu den einflussreichsten Primärproduzenten des Waldes. In diese Position sind sie durch ihre schiere Größe hineingewachsen. Darüber hinaus nehmen Bäume allein durch ihre körperliche Dimension Einfluss auf ihre eigenen Lebensbedingungen. Dieses Privileg der Holzpflanzen kommt so richtig zur Geltung, wenn sie sich zu einer Waldgemeinschaft zusammenschließen. So ist es im Schutze des Waldes am Tage kühler und in der Nacht wärmer als in der Umgebung. Die Transpiration der Blätter erhöht die Luftfeuchte. Gleichzeitig vermindern geringe Luftbewegung und Beschattung die Verdunstung. So gestaltet der Wald sein Binnenklima und optimiert seine eigene Wasserversorgung (siehe: Wald und Bäume).

So vorteilhaft Größe auch sein mag, sie bedeutet auch Aufwendungen für Wachstum und Strukturerhalt. Der hohe Wuchs erfordert einen Stamm und ein System aus Ästen, einerseits um der Konstruktion Stabilität zu verschaffen und andererseits um den Stoffaustausch zwischen Wurzeln und Blattwerk zu gewährleisten. Für ein effizientes Kosten-Nutzen-Verhältnis müssen Bäume daher langfristige Investitionen eingehen. Der Aufbau dieses oft gewaltigen Organismus dauert bei vielen Bäumen mehrere Menschenalter. Als evolutive Anpassung besitzen Holzpflanzen Erneuerungszellen, so genannte Meristemzellen, mit einem umfassenden Regenerationspotenzial. So können Bäume Jahrhunderte überdauern, und zwar ohne ihre Fruchtbarkeit einzubüßen. Zeugen dieser Langlebigkeit finden sich unter heimischen Eichen und Linden, bei denen Exemplare mit einem Lebensalter von mehr als einem Jahrtausend bekannt sind.

Langlebigkeit ist nicht nur die Voraussetzung für die Entwicklung eines mächtigen Stammes, sondern sie gestattet auch eine flexible Anpassung an kurzfristige Umweltschwankungen. Jahre ohne Samenproduktion, witterungsbedingter Ausfall der Bestäubung oder ungünstige Keimbedingungen für die Aussaat: Solche Risiken überbrücken Holzpflanzen völlig problemlos. Die lange Generationszeit hat aber auch Nachteile. Keimlinge haben nur dann eine Chance, wenn einer der Großen den Platz räumt, sei es aus Altersgründen oder durch Sturm, Parasiten, Blitzschlag oder Feuer. So wächst nur ein winziger Bruchteil der Samen zu einem reifen Baum heran. Eichen produzieren in Vollmastjahren bis zu 2000 Kilogramm Eicheln pro Hektar! Holzpflanzen müssen daher viel Energie in die Fortpflanzung investieren, um von Größe und Langlebigkeit Gebrauch machen zu können.

Die Evolution hat Bäumen mit ihrer Größe zu einem Vorteil verholfen. Sozusagen als Nebeneffekt haben Holzpflanzen sich aber selbst Lebensbedingungen geschaffen, die einer schier unglaublichen Artenfülle von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen nun als Grundlage ihrer Existenz dienen. Dies ist in erster Linie eine Konsequenz ihrer überragenden Stellung als Produzent und Speicher von Biomasse. Für Bäume ist Holz ein Baumaterial, ähnlich wie für uns die Knochen, und daher kein Vorrat für schlechte Zeiten.

Trotzdem ist Holz eine organische Speichersubstanz mit fundamentaler Bedeutung für die Nahrungsversorgung des Ökosystems Wald. Holz besteht zur Hälfte aus Zellulose und zu je einem Viertel aus Hemizellulose und Lignin. Hierbei handelt es sich um Kohlenwasserstoffe, die Holzpflanzen als Endprodukt ihrer Photosynthese herstellen. Kohlenwasserstoffe sind begehrte Produkte in der Natur und werden daher meist schnell umgesetzt. Ganz anders diese langkettigen Biomoleküle, aus denen Holz besteht. Sie sind so sehr auf Elastizität, Festigkeit und jahrhundertelange Haltbarkeit ausgelegt, dass nur ganz bestimmte Bakterien und Pilze überhaupt zum Abbau dieser elementaren Bausteine des Holzes in der Lage sind. Auch die Holzfresser unter den Tieren benötigen die Assistenz von Mikroorganismen, die sie als Symbionten in ihrem Darm beherbergen.

Der Anteil der Bäume an der globalen Biomasse ist gewaltig. Rund vier Fünftel entfällt allein auf Holzpflanzen, obwohl nur ein Viertel der Erde mit Wald bedeckt ist. Interessanterweise unterscheidet sich aber der jährliche Zuwachs an organischer Substanz von Wäldern nicht wesentlich von dem offener Graslandschaften in vergleichbaren Klimazonen. In den Steppen Osteuropas beträgt die Neuproduktion von Biomasse ungefähr zehn Tonnen Trockengewicht pro Hektar und Jahr. In mitteleuropäischen Laubwäldern sind es etwa zwölf Tonnen pro Hektar, davon vier Tonnen Laub und acht Tonnen Holz.

Der substanzielle Unterschied zwischen bewaldeten und offenen Ökosystemen besteht nicht in der Produktivität, sondern im langfristigen Speichervermögen von Biomasse der systemrelevanten Pflanzen. Deren Wuchsform entscheidet, in welchem Umfang organische Substanzen deponiert werden können. Einjährige Pflanzen speichern überhaupt keine Biomasse. Diese Pflanzen entwickeln sich schnell und sterben meist bald nach der Samenproduktion. Viele Gräser, Korbblütler oder Hülsenfrüchtler gehören in diese Gruppe, eben typische Bewohner offener Ökosysteme. Auch mehrjährige krautige Pflanzen können nur in einem beschränkten Umfang Biomasse in Wurzeln, Knollen oder Zwiebeln einlagern. Regenerieren sich annuelle Pflanzen allein aus ihren Samen, so können mehrjährige Stauden aus ihren Dauerorganen austreiben. Der größte Teil des Pflanzenkörpers vergeht aber nach dem Ende der Vegetationsperiode. Die Bestandsbiomasse in Steppen Osteuropas beträgt daher nur etwa das Doppelte der jährlichen Neuproduktion, nämlich etwa zwanzig Tonnen pro Hektar. Allein die im Holz gespeicherte Biomasse eines alten Laubwaldbestandes kann dagegen bis zu vierhundert Tonnen pro Hektar betragen.

Die ökologische Bedeutung von Bäumen ist daher eine völlig andere als die der krautigen Pflanzen. Deren Stoffkreislauf wird in Jahren bemessen, der von Holzpflanzen in Jahrhunderten. Allerdings produzieren Bäume auch Blätter, die regelmäßig erneuert werden. Das gilt auch für so genannte immergrüne Pflanzen und Nadelbäume. Dieser Teil der Baumbiomasse wird wie bei krautigen Pflanzen in einem kurzzeitigen Zyklus in den Nahrungskreislauf zurückgeführt. Bei unseren Bäumen dauert die Verrottung des Laubstreus etwa fünf bis zehn Jahre, in den Wäldern des Nordens erstreckt sich die vollständidige Mineralisierung aber durchaus über Jahrhunderte.

Auch das Holz befindet sich in einem Stoffkreislauf. In seinen jungen Jahren investiert ein Baum viel Energie in den Aufbau seiner Holzstruktur. In der Reifephase verlangsamt sich das Wachstum und das Holzvolumen erreicht sein Maximum. Dann fordert das Alter seinen Tribut: Zunächst sterben nur einzelne Äste ab, während andere noch immer Holz ansetzen, aber die Bilanz wird nun negativ. Lebendholz wird zunehmend zu Totholz und fällt zu Boden. Zuletzt stirbt der Stamm. Manchmal steht er noch Jahrzehnte, bis er schließlich zu Boden fällt. Auch das Wurzelholz fügt sich in diesen Alterungszyklus. Das Holz verrottet, wird Teil des Bodens und ernährt so die nächste Baumgeneration.

In einem natürlichen Wald nimmt der Zyklus des Holzes Jahrhunderte in Anspruch. Die Eiche, ein Charakterbaum der Hartholzauenwälder, erreicht ein natürliches Lebensalter von 500 bis 800 Jahren. Die forstliche Umtriebszeit, das ist der Zeitraum von der Aussaat bis zum Holzeinschlag, beträgt aber nur etwa 160 Jahre. Eichen werden also bereits in ihrer Jugend geerntet. In forstwirtschaftlich genutzten Beständen - und dazu gehören nahezu alle unsere Wälder - wird die natürliche Alterungsphase allenfalls von verschonten Einzelbäumen erreicht. Die Konsequenz: In unseren Wäldern fehlt Totholz. In einem natürlichen Laubwald der gemäßigten Breiten gehen etwa neunzig Prozent der Biomasseproduktion auf das Konto der Bäume. Zehn Prozent tragen Büsche und Sträucher bei und weniger als ein Prozent entfällt auf die Bodenvegetation. Natürlich variiert diese Verteilung je nach Bestockung und Alter des Waldes, aber diese Näherungswerte demonstrieren die beherrschende Rolle der Holzpflanzen als Nahrungslieferanten des Ökosystems Wald. Laub und Holz sind daher die wichtigsten Nahrungsressourcen im Ökosystem Wald.

Die bei weitem artenreichste Tiergruppe der Baumkronen unserer Wälder sind die Blattfresser. Es sind fast ausschließlich Insekten. Schmetterlingsraupen, die Larven der Blattwespen sowie Blatt-, Rüssel- und Bockkäfer fressen unmittelbar an den grünen Blattspreiten. Andere saugen Pflanzensäfte wie Baumwanzen, Blattflöhe, Blattläuse und Schildläuse. Die Larven der Minierfliegen, Gallmücken und Miniermotten bohren sich in die Blätter oder Blattstängel hinein und höhlen sie von innen her aus. In einem baumartenreichen Wald mit ausgewogener Altersstruktur, wie beispielsweise in einem natürlichen Auwald, werden allerdings nur wenige Prozent der Blattmasse von Herbivoren verzehrt.

Als Folge des guten Nahrungsangebotes ist der Kronenbereich des Waldes ein wahres Paradies für räuberische Insekten wie Kamelhalsfliegen, Florfliegen und Marienkäfer samt ihrer noch gefräßigeren Larven sowie Raubwanzen, Hornissen und, nicht zu vergessen, die Heere der Waldameisen. Schlupfwespen legen meist ein einziges Ei in eine Raupe, die dann von den schlüpfenden Larven von innen her verzehrt wird. Verstärkt werden die Truppen der Raubinsekten von Spinnen, vor allem netzbauende Webspinnen, und natürlich durch die Scharen der Waldvögel. Im Sommer ist das Nahrungsangebot so reichlich, dass selbst die sonst körnerfressenden Finken ihre Jungen mit proteinreicher Insektennahrung aufziehen können. Wenn die Blattverwerter im Herbst ihre Tätigkeiten beenden, dann verlassen fast alle unsere Singvögel das Schlaraffenland. Nur die Finken, die ihre Ernährung wieder auf Körner umstellen können, dürfen bleiben.

Bilden die grünen Blätter mit ihren Konsumenten und den spezialisierten Räubern ein Nahrungsnetz im Kronenbereich, so beginnt im Herbst am Waldboden die zweite Karriere des Blattwerkes. Als Streu steht das Laub am Ausgangspunkt einer neuen Nahrungskette mit unverwechselbarer Bedeutung für das Ökosystem Wald: die Bildung des Bodens. Die Streuzersetzung ist Aufgabe der Destruenten. Die Mannschaft fürs Grobe besteht aus Geißeltierchen, Wurzelfüßer, Wimpertierchen, Rädertiere, Fadenwürmer, Milben, Springschwänze, Ringelwürmer, Asseln, Schnecken und Tausendfüßer.

Die vielleicht wichtigsten Streuverwerter sind die Larven der Trauermücken, von denen meist mehrere tausend pro Quadratmeter vorkommen. Die kleinen, dunklen Trauermücken und ihre Larven stehen daher auch im Zentrum der Nahrungskette des Waldbodens. Viele Bodenorganismen sind Allesfresser, die sowohl von pflanzlicher als auch von tierischer Nahrung leben. Es ist daher schwierig, zwischen den reinen Destruenten und den Teilzeiträubern zu unterscheiden. Pflanzliche Rückstände und die mit organischen Reststoffen angereicherten Verdauungsprodukte der Destruenten dienen wiederum den Mineralisierern, also den Bakterien und Bodenpilzen, als Nahrung. Anders als im oberirdischen Bereich geht im Waldboden, für uns weitgehend unbemerkt, die „Arbeit“ auch im Winter weiter.

An der Zersetzung des Laubes sind geradezu unglaubliche Mengen von Organismen beteiligt. Die Biomasse der Bodenbewohner schwankt außerordentlich stark in unterschiedlichen Biotopen, aber ein fruchtbarer Waldboden kann über zwanzig Tonnen an biologischer Trockenmasse pro Hektar enthalten. Etwa vier Fünftel davon ist tote Biomasse, also Streu und verrottendes Holz, ein Zehntel besteht aus lebenden Wurzeln und ein weiteres Zehntel aus Bodenorganismen. Das wären dann etwa zwei Tonnen pro Hektar! Diese setzen sich zum weitaus überwiegenden Teil aus Bakterien und Pilzen zusammen und nur zu einem geringeren Teil aus tierischen Organismen. Auch von diesen Bodenorganismen lebt eine Hierarchie von Räubern. Das beginnt bei den einzelligen Protozoen als ausgewiesene Bakterienjäger. Frei jagende Spinnen, Weberknechte, Lauf- und Kurzflügelkäfer haben in der obersten Bodenschicht ihr Revier. Wirbeltiere wie Spitzmäuse, Dachs oder Blindschleiche beschließen als Räuber zweiter Ordnung die Nahrungskette.

Holz ist die zweite Säule der Ernährung im Wald, und zwar Totholz, denn anders als das Blattwerk ist Lebendholz nur für ganz wenige spezialisierte Konsumenten wirklich nutzbar. Logischerweise werden diese Tiere als Forstschädlinge betrachtet. Die Zersetzung von totem Holz ist die Aufgabe der Bakterien und Pilze. Vermutlich sind auch alle holzfressenden Insekten von der Assistenz symbiontischer Darmbakterien abhängig. Aber gegenüber der direkten Verwertung des Holzes durch Bakterien und Pilzen spielen alle anderen holzzersetzenden Organismen ohnehin eine nachrangige Rolle. Am Holz herrscht eine strikte Arbeitsteilung. Es gibt Pilzarten, die bereits unmittelbar nach dem Absterben des Holzes erscheinen, während andere erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Zersetzung ihre Arbeit aufnehmen, manche bevorzugen trockenes Astholz, andere wieder feuchtes Bodenholz. Viele bekannte Speisepilze wie Hallimasch oder Stockschwämmchen erscheinen erst in der Schlussphase des Vermoderungsprozesses. Untersuchungen in bayerischen Naturwaldreservaten brachten bislang Nachweise von 269 verschiedenen Pilzarten allein am Buchentotholz. Deutschlandweit gibt es etwa 5000 Pilzarten, von denen die Hälfte einen Bezug zum Totholz hat.

Eine vergleichbare Abhängigkeit vom Holz besteht bei der größten Insektenordnung, den Käfern. Von den 4620 bei uns bekannten Arten leben 1377 entweder als ausgewachsenes Insekt oder als Larve im oder am Totholz. Viele dieser so genannten xylobionten Käfer sind in Ermangelung geeigneter Biotopbäume hochgradig gefährdet oder bereits verschwunden. Aufgrund des noch vergleichbar hohen Totholzanteiles sind die Reste unserer Hartholzauenwälder die letzten Refugien für manche so spektakuläre Seltenheiten wie Juchtenkäfer, Eichenbock, Nashornkäfer, Balkenschröter oder Hirschkäfer. Diese imposanten Kerbtiere brauchen viele Jahre für ihre Larvenentwicklung im Holz. Ihr Erwachsenenleben ist meist kurz und von der Paarung und Eiablage bestimmt. Da in ihrem ursprünglichen Lebensraum totes Holz nie weit entfernt war, konnten sie auf die Entwicklung einer aufwändigen Flugfähigkeit verzichten. Daher leiden diese xylobionten Käferarten ganz besonders unter dem Verschwinden von Totholz und der Fragmentierung unserer Wälder.

Wie die Pilze folgen auch die Insekten einer arbeitsteiligen Nutzung des abgestorbenen Holzes. Borkenkäfer, Bockkäfer und Holzwespen wenden sich bereits jungem Totholz zu. Durch ihre Bohrgänge schließen sie das Material für Bakterien und Pilze auf und fördern so den Verrottungsprozess. Später kommen Schwarz-, Pracht- und Schnellkäfer oder die Larven bestimmter Schwebfliegen zum Zuge. Am Ende übernehmen die Bodenorganismen die endgültige Zersetzung des Moderholzes. Hier, im Untergeschoss des Waldes, verschmelzen die Nahrungsketten der Laub- und Holznutzer. Ein intakter Holzkreislauf ist daher nicht nur die Basis für Entstehung und Erhalt von Artenvielfalt, sondern auch die Voraussetzung für eine funktionsfähige Bodenbildung.

 

Nur ganze 16,3 Hektar misst das Naturwaldreservat Grubenhau auf der östlichen Schwäbischen Alb. Der alte Buchenbestand hat viele Eigenschaften eines Urwaldes bewahrt: stehendes und liegendes Totholz in unterschiedlichen Stadien der Verrottung und eine natürliche Verjüngung in den Sturzlücken.

 

In forstwirtschaftlich genutzten Wäldern wird der Holzzyklus stark verkürzt. Holzentnahme reduziert grundsätzlich die Biomasse der Konsumenten (und damit auch deren Anzahl), die das Ökosystem Wald ernähren kann. Mit seinen ökonomischen Interessen tritt der Mensch als Nahrungskonkurrent auf, der nicht nur den Totholznutzern und Bodenorganismen die Nahrungsressourcen schmälert, sondern auch allen nachgeschalteten Gliedern der Nahrungskette.

Nackte Zahlen zeigen den Einfluss der Forstwirtschaft auf die Ökologie des Waldes. Nach Angaben der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft beträgt der durchschnittliche Totholzanteil in bayerischen Staatsforsten knapp über drei Festmeter pro Hektar. In Slowakischen Urwäldern wurden dagegen bis zu dreihundert Festmeter pro Hektar festgestellt. Das Hundertfache! Bei uns werden ähnliche Werte nur in einigen Naturwaldreservaten erreicht.

Forstwirtschaft ist eine Form der Ökonomie, das sagt bereits der Name. Sie wird ausschließlich zum Nutzen des Menschen betrieben. Auch wenn gerne betont wird, Forstwirtschaft diene auch dem Schutz der Umwelt: Die Natur braucht keine Forstwirtschaft. Es geht hier nicht darum, die Notwendigkeit der Nutzung natürlicher Ressourcen durch den Menschen in Frage zu stellen (eine solche Alternative besteht seit dem Übergang des Wachstums der Weltbevölkerung vom linearen zum exponentiellen Wachstum im achtzehnten Jahrhundert ohnehin nicht mehr), sondern um die Relativierung eines gerne gepflegten Eindrucks, Forstwirtschaft würde von sich aus dem Schutze des Waldes dienen. Tatsächlich aber ist der vollständige Nutzungsverzicht das Ideal des Naturschutzes. Aktive Forstwirtschaft wird sich, je nach Art der Nutzung, immer unterhalb dieses Ideals bewegen müssen.

Betrachtet man den Wald als Ökosystem, so wird die Rolle des Menschen deutlich. Die funktionalen und quantitativen Zusammenhänge innerhalb einer Nahrungskette wurden bereits in einem eigenen Kapitel angerissen. Nehmen wir als Näherungswert eine Abnahme der Biomasse um 90% auf jeder Stufe der Nahrungskette, dann ernähren die Pflanzen eines Ökosystems nur Pflanzenfresser und Destruenten mit einer Biomasse von 10% der Primärproduktion des Waldes, und von deren Gesamtgewicht finden sich wiederum nur etwa 10% in der Biomasse der Räuber wieder. Jede Entnahme von Holz verursacht also eine äquivalente Verminderung der Masse und Anzahl von Tieren (und ebenfalls heterotrophen Pilzen und Mikroorganismen) im Wald.

Forstwirtschaft entzieht dem Ökosystem Wald daher systematisch einen Teil der Nahrungsressourcen: Das ist das Prinzip der Holzwirtschaft. Verstärkt wird dieser ökologische Effekt durch das betriebswirtschaftliche Gebot, Bäume in einem optimalen Stadium einzuschlagen, nämlich dann, wenn der Ertrag sein Maximum erreicht. Da der ökonomisch günstigste Zeitpunkt der Holzernte weit vor Eintritt der Alterungsphase liegt, gibt es gerade in intensiv genutzten Wäldern keine alten Bäume und vor allem kaum Totholz. Lediglich Ast- und Wurzelholz verbleiben im Ökosystem, wobei die Nutzung auch dieses Restholzes zur Befriedigung unseres Energiehungers (Pellets) Besorgnis erregen muss. Genau hier liegt die Ursache für das Aussterben und die massive Gefährdung gerade von Tierarten und Pilzen, die direkt oder indirekt von Totholz in seinen unterschiedlichen Verrottungsstadien abhängig sind. Auch für die Regeneration des Waldbodens fehlen diese organischen Materialien.

Sicher sehr stark vereinfacht ist dies der Grund, warum natürliche Wälder prinzipiell artenreicher sind als solche, die forstwirtschaftlich genutzt werden. Verzicht auf Forstwirtschaft ist daher unbestritten der beste Schutz für die Natur. Aus der Einsicht heraus, das Nutzungsverzicht die wirksamste Werkzeug des Arten- und Biotopschutzes ist, wurde das Instrument des Naturwaldreservates geschaffen, in denen sich Wälder vom Primat der Ökonomie befreit entfalten können. Obschon es vereinzelte Schongebiete bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts gab, wurden Bannwälder erst seit den siebziger Jahren systematisch eingerichtet. Daher sind auch diese, früher meist bewirtschafteten Wälder oft noch weit von einer natürlichen Struktur und Funktionalität entfernt. Einen Beitrag und einen Videofilm über das Naturwaldreservat Mooser Schütt finden Sie übrigens hier und einen weiteren über das Naturwaldreservat Grubenhau an dieser Stelle.

Das Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie könnte kaum besser mit Zahlen dokumentiert werden als beim Waldschutz. War Deutschland ursprünglich (nahezu) vollständig mit Wald bedeckt, und zwar mit Naturwald, dann sind es heute nur noch 31% der Landesfläche. Ganze 99 Prozent des deutschen Waldes werden derzeit forstwirtschaftlich genutzt und nur lediglich etwa 1000 Quadratkilometer sind in Form von Naturwaldreservaten, Nationalparks oder Kernzonen von Biosphärenreservaten von der Nutzung ausgenommen. Das sind ganze 0,3 Prozent der Fläche unseres Landes. Ein bescheidenes Erbe, das wir da unseren Enkeln hinterlassen wollen.